Jeden Arzt trifft eine, aus dem Behandlungsvertrag nachwirkende Schutz- und Fürsorgepflicht. Die daraus resultierende Sorgfaltspflicht ist zu erfüllen, insbesondere wenn es um die Weitergabe von wichtigen medizinischen Informationen auch nach der aktuellen Hausärztlichen Behandlung geht.
BGH Urteil vom 26.06.2018 IV ZR 285/17
Allgemein bekannt sind die Pflichten des Arztes während der laufenden Behandlung: Die Pflicht zur Behandlung, die Pflicht zur Aufklärung, die Pflicht zur Dokumentation und die Einhaltung der ärztlichen Schweigepflicht zum Behandlungsvertrag.
Der von dem BGH zu entscheidende Fall konkretisiert die nachvertraglichen Pflichten des Arztes: Der klagende Patient nahm seine langjährige Hausärztin wegen eines Behandlungsfehlers erfolgreich in Anspruch.
Die Hausärztin hatte den Patienten zwischen zwei Behandlungen nahezu zwei Jahre nicht gesehen (2008 – 2010). Nachdem sie ihn beim vorletzten Termin zur Weiterbehandlung an einen Facharzt überwiesen hatte, erhielt sie lediglich zwei der insgesamt vier folgenden Arztbriefe, die von Seiten der ebenfalls vom Patienten aufgesuchten Krankenhäuser übermittelt wurden. Der letzte Arztbrief (Januar 2009) richtete sich direkt an die Hausärztin, weitere Empfänger waren dort nicht angegeben. Der dort dargestellte histologische Befund lautete wie folgt:
„Am 30.10.2008 erfolgte die Resektion eines Nervenscheidentumors im Bereich der linken Kniekehle. Entgegen der vermuteten Diagnose eines Neurinoms stellte sich bei der Durchsicht der Präparate im Referenzzentrum ein Maligna-Nerven-Scheiden-Tumor dar. Wir bitten, den Patienten in einem onkologischen Spezialzentrum (zum Beispiel Universitätsklinik Düsseldorf) vorzustellen.“
Eine Weiterleitung dieses Schreibens an den Kläger oder eine sonstige Information des Klägers durch die Beklagte erfolgte nicht. Erst 2010, als der Patient sich wegen einer Handverletzung erneut vorstellte, kam das Gespräch auf die Bösartigkeit des im Oktober 2008 entfernten Geschwulst.
Während das Oberlandesgericht die Klage noch abgewiesen hat, verhalf der BGH dem Kläger nun zum Erfolg.
Nach der Rechtsauffassung des BGH hat ein Arzt sicherzustellen, dass der Patient von Arztbriefen mit bedrohlichen Befunden – und gegebenenfalls von der angeratenen Behandlung – Kenntnis erhält, auch wenn diese nach einem etwaigen Ende des Behandlungsvertrages bei ihm eingehen. Der Arzt, der als einziger eine solche Information bekommt, muss den Informationsfluss aufrecht erhalten, wenn sich aus der Information selbst nicht eindeutig ergibt, dass der Patient oder der diesen weiter behandelnde Arzt sie ebenfalls erhalten hat.
Zwar gehe durch eine Überweisung an den Facharzt oder ein Krankenhaus grundsätzlich die Verantwortung für die Behandlung auf die Ärzte des Krankenhauses/den fachärztlichen Kollegen über. Das gelte aber nicht uneingeschränkt.
Denn die Hausärztin war aus dem Behandlungsvertrag mit dem Kläger weiterhin verpflichtet, ihm die zu ihrer Kenntnis gelangten Diagnose mitzuteilen. Dies ergebe sich schon daraus, dass der zweite Arztbrief allein an die Hausärztin gerichtet worden sei und eine unmittelbar an sie gerichtete Handlungsaufforderung („Wir bitten, den Patienten … vorzustellen“) enthalten habe.
Selbst wenn dies aus Sicht der Hausärztin irrtümlich und damit fehlerhaft war, durfte die das Schreiben also nicht unbeachtet lassen und damit sehenden Auges eine Gefährdung ihres Patienten hinnehmen.
Im Lichte dieser konkretisierenden Rechtsprechung zu nachvertraglichen Pflichten des Arztes ist es somit ratsam, sämtliche, auch nach der abgeschlossenen Behandlung des Patienten eingehenden Arztbriefe an den Patienten weiterzuleiten und gegebenenfalls Rücksprache zu halten.